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Das Licht Christi und Europa

18. Sep 2007

Der Paderborner römisch-katholische Delegierte H.G.Hunstig berichtet: „Das Licht Christi und die Welt“, lautete das Motto des Freitags. Beim Morgengebet rahmte der Kanon „Leuchte du mein Friedenslicht. Leuchte und verlösche nicht. Gib mir eine gute Sicht und dem Frieden ein Gesicht!“ den Blick auf die vier Himmelrichtungen ein: Die Versammlung dr…

Tagebuch von Hans Georg Hunstig, Paderborn

Das Licht Christi und Europa

Tagebuch-Impressionen von der dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu/Hermannstadt

Dienstag

Treffpunkt Halle C-West im Terminal 1 des Münchener Flughafens: Nach und nach trudeln die Frauen und Männer ein, die die deutsche Kirche aller Bekenntnisse in Sibiu vertreten sollen. Sie kamen zur Ökumenischen Andacht vor dem Abflug zusammen und erhielten den Reisesegen von der methodistischen Bischöfin Rosemarie Wenner und dem katholischen Flughafenpfarrer Leo Mosses. Dann startete die Boeing 737 mit 136 der 200 deutschen Delegierten in Richtung Sibiu. Wir kamen noch rechtzeitig zum Willkommensfest am Abend auf dem Piata Mare mitten in der Altstadt. Der deutschstämmige Bürgermeister Klaus Johannis schrieb mir dabei eigens einen Gruß für „Christ in der Gegenwart“ in mein Tagebuch.

Mittwoch

Die 2500 Delegierten zogen in das riesig blaue Hauptzelt, das für Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas 2007 errichtet und für fünf Tage Mittelpunkt der Beratungen war. Nach dem Eröffnungsgebet gab uns der rumänische Präsident Bacescu die Ehre und begrüßte uns in diesem neuesten EU-Mitgliedsland. „Möge Gott uns segnen, unsere Völker segnen und Europa segnen“ war sein Schlussappell. Eine Präsentation erinnerte an den Weg des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung von Basel 1989 bis hierher. An zwei Stellen brandete der Beifall auf: als Frère Roger Schütz, der erste Prior von Taizé, als Teilnehmer der Ökumenischen Versammlung in Graz (1997) auf dem Bildschirm erschien und als Bilder von der Unterzeichnung der Charta Oecumenica 2001 in Straßburg gezeigt wurden. Die Versammlung hat offenbar ein Gespür dafür, wer und was für die Einheit der Kirche besondere Bedeutung hat.

Es war Zuhören angesagt – wie so oft in den nächsten Tagen. Metropoliten, Patriarchen, Kardinäle, Erz/Bischöfe und Generalsekretäre hatten uns Vieles zu sagen. Weniger wäre sicherlich mehr gewesen! Aber mittels der Kopfhörer und der vielen Dolmetscher war zumindest die textliche Verständigung sehr gut. Inhaltlich wurde es oft schon schwieriger.

Kardinal Walter Kasper, katholischer „Ökumeneminister“ betonte, dass wir durch unsere Spaltungen, die Ausdruck von Sünde seien, das Licht Christi verdunkelt hätten. Er rief auf, die Hände, die wir einander gereicht hätten, „nicht wieder los zu lassen“ und den kommenden „Dialog in der Wahrheit und in der Klarheit“ zu führen. Demgegenüber plädierte Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, dafür, die unterschiedlichen Wege der Kirchen zu dem einen Licht Christi anzuerkennen. Zugleich rief er dazu auf, sich den Schatz christlicher Spiritualität neu bewusst zu machen und unsere Gemeinschaft in Spiritualität und Gottesdienst weiterzuentwickeln. Der russisch-orthodoxe Metropolit Kyrill wünschte sich dagegen einen gemeinsamen Kampf der Christenheit gegen „die Moderne“. Schade, dass die vormittäglichen Reden im luftleeren Raum blieben. Inwieweit sie in den nachmittäglichen Foren zu Einheit, Spiritualität und Zeugnis noch aufgegriffen wurden, bleibt unbekannt.

Donnerstag

Besondere Qualität hatte täglich das einstündige Morgengebet mit Bibelmeditation vor Beginn des Plenums. Heute stand dabei die Verklärung auf dem Berg Tabor (LK 9,28-36) im Mittelpunkt. Bewegend war hier etwa der 19 jährige Timi Dorgu von der anglikanischen Kirche, der in einem Glaubenszeugnis erzählte, wie er als Student und leidenschaftlicher Sportler die Veränderung durch Jesus erfahren hat und diese anderen Menschen auch weitergibt. Umrahmt wurde das Morgengebet von internationalen, aber leicht singbaren Liedern aus dem eigens erstellten Liederbuch und durch verschiedene kleine Gestaltungselemente. An diesem Morgen etwa entwickelten sich auf der großen Leinwand von Sibiu aus die Strahlen in alle Länder Europas – eine große Verklärung. Und während am Mittwoch noch alle das Vaterunser in ihrer Muttersprache laut beteten, wurde heute das Vaterunser in aramäisch, in der Sprache Jesu, vorgetragen. Wir anderen beten es leise, in unserer Muttersprache. Vielleicht ist es gut, Jesus im Originalton zu Wort kommen zu lassen und sich selbst einmal zurückzunehmen! Es folgte das bei uns gern gesungene Lied „Lobe den Herrn“ mit weiteren Strophen in Englisch, Französisch und Italienisch, gesungen aus 2000 Kehlen der verschiedensten Konfessionen und das Kyrieeleison in der Melodie, die wir aus Rußland kennen, jetzt mit Russen gesungen. Alle spürten die Ermunterung im gemeinsamen Singen fern der theologischen Diskussion.

Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission hielt den Hauptvortrag zur versöhnten Vielfalt in einem vereinten Europa. Das große Versammlungszelt erinnerte ihn an den Geist der Versammlung. Das Zelt sei das Symbol für die sprichwörtliche Gastfreundschaft, die den drei Reisenden von Abraham gewährt sei, dessen Kinder Juden, Christen und Muslime sind. So sei auch er aus der europäischen politischen Arbeit kommend Gast auf dieser Reise. Er lobte die Charta Oecumenica für die Entwicklung Europas und entwickelte auf der Basis des Erbes von „Athen, Rom und Jerusalem“, als „Triade von Verstand, Gesetz und Moral“, Perspektiven für die Zukunftsfähigkeit Europas und den Beitrag der Christen dazu. Zeichen setzten zwei Grußworte: Rabbi Kogan aus Russland erinnerte daran, dass Christen und Juden vor 2000 Jahren Hand in Hand nach Europa gekommen seien, und sang abschließend ein jüdisches Gebet. Der Mufti von Rumänien verwies auf die lange Tradition des Dialoges der drei monotheistischen Religionen und drückte den Wunsch aus: „Möge Allah die Versammlung segnen!“

Freitag

„Das Licht Christi und die Welt“, lautete das Motto des Tages. Beim Morgengebet rahmte der Kanon „Leuchte du mein Friedenslicht. Leuchte und verlösche nicht. Gib mir eine gute Sicht und dem Frieden ein Gesicht!“ den Blick auf die vier Himmelrichtungen ein: Die Versammlung drehte sich und blickte nacheinander zu vorgelesenen Texten nach Süd, West, Ost und Nord. Jeder verstand: Es gilt im Sinne der Tageslesung „Licht sein aus Christus“ (Eph 5, 8-14) gemeinsam die Blickrichtung zu ändern und zu handeln!

Und tatsächlich brachte dieser Tag eine Wende in der Versammlung. Andrea Riccardi, Gemeinschaft St.Egidio, ermunterte rhetorisch gekonnt zu einem konkreten Einsatz in der Welt, Erfahrungsberichte folgten, bevor der erste Entwurf der Versammlungsbotschaft vorgelegt wurde. Da platzte der Knoten, die Spannung entlud sich, eine „Ökumene der Ungeduld“ machte sich breit: Viele Teilnehmer vermissten konkrete Vereinbarungen, empfanden Rückschritte zu den ökumenischen Versammlungen von Basel und Graz. Eine allgemeine Unruhe breitete sich aus und Kritik wird vorgebracht. Zum ersten Mal: Konkreter Dialog. Wer sich unverzüglich beim Saalmikrofon anstellte, hatte Gelegenheit, seine Verbesserungsvorschläge laut einzubringen. Das Plenum äußerte sich mit mehr oder weniger langem Applaus. Andere nutzten dazu die Zettel, die einem Redaktionsausschuss vorgelegt wurden. Auch der Nachmittag brachte in den Foren zu „Schöpfung“, „Gerechtigkeit“ und „Frieden“ die Dinge auf den Punkt. Das Verlangen der Teilnehmer, auf den Klimawandel aktiv zu reagieren, entwickelte sich an diesem Tag zu einem Schwerpunkt.

Wer am Abend den Weg in die Orthodoxe Kathedrale fand, erlebte in der Orthodoxen Vesper am Vorabend des Festes Maria Geburt eine „Ökumene der Gastfreundschaft“. Sie war für die meisten Teilnehmer, die einer anderen Konfession angehörten, eine echte Horizonterweiterung. Die Texte waren mehrsprachig auch auf die Gäste abgestimmt. Eine Protestantin durfte eine Lesung vortragen, die wiederholenden einfachen Gesänge luden zum Mitsingen ein. Es gab viel zu sehen, zu riechen und zu fühlen in dieser Liturgie, die einen Blick auf das himmlische Jerusalem eröffnet, eine Anbetung in dem Sinne, vor Gott da zu sein, eine Öffnung auf was anderes hin, Raum haben, um sich hinein zugeben, Anknüpfungspunkte finden... so formulierten einige hinterher ihre Empfindungen. Auch wer die Texte und insbesondere die Predigt nicht verstehen konnte, fand genug zu sehen: Wie eine Bilderbibel war der ganze Rundbau vom Boden bis in die Kuppel voller Darstellungen mit biblischen Motiven. Und dann der gedeckte Altar des Brotes: Brot wurde gesegnet und nach der Vesper ausgeteilt. Dazu wurden die Empfangenden - wie ein König, wie bei der Taufe- mit heiligem Öl auf die Stirn und beide Hände gesalbt. Diese Form der Agape, der „Speisung der Armen“ mit dem gesegneten Brot war eine bewegende Erfahrung.

Samstag

Ebenso feierlich war der orthodoxe Gottesdienst früh im großen Zelt. Hier konnte man jedoch schmerzlich die Grenzen der Gastfreundschaft erfahren: „Eingeladen zur Heiligen Kommunion sind nur die orthodoxen Christen!“ Diese Wunde der Christenheit konnte auch die Versammlung in Sibiu nicht heilen. Es ist schmerzhaft und heilsam, einmal aus der Sicht des „Ausgeladenen“ die Verweigerung des Brotes am Tisch des Herrn zu erleben.

Der Rest des Tages galt den schriftlichen Ergebnissen der Versammlung. Der zweite Entwurf der Botschaft war völlig umgestellt und konkretisiert. Dennoch gab es noch viele Änderungsvorschläge. Wenn das ganze Vorgehen auch nicht wirklich einem demokratischen Verfahren entsprach und an echter Partizipation zu wünschen ließ, so konnte doch eine Minimalbeteiligung erreicht werden, bevor am späten Nachmittag die dritte und endgültige Fassung vorlag. Diese wurde mit einem Schlussapplaus der Versammlung akzeptiert. Mehr war wohl nicht drin. Aber immerhin wurde betont, dass die Charta Oecumenica als wichtige Grundlage der Ökumene in Europa noch der Umsetzung bedarf, dass wir Christen uns künftig in Gebet und Tat - besonders zwischen dem ersten September und dem vierten Oktober - für den Schutz der Schöpfung einsetzen wollen, um den Klimawandel aufzuhalten. Außerdem wurde festgehalten, dass die Kirchen in Europa sich in einem konsultativen Prozess mit verschiedenen Feldern der Gerechtigkeit beschäftigen sollen. Es liegt jetzt - wie schon vor Sibiu- an jedem Christen und jeder Christin selbst, was aus den Begegnungen und schriftlichen Ergebnissen dieser Versammlung wird. Ite missa est!

Sonntag

Im Anschluss an die konfessionellen Gottesdienste traf sich die Versammlung zur Abschlussfeier noch einmal auf dem Stadtplatz von Sibiu. Nach den regnerischen Tagen brach die Sonne durch, gerade beim Lied „...dein Licht leuchte uns!“. Und während wir noch singen, beobachte ich unter den vielen Pilgern aus Rumänien zwei armselig bekleidete ältere Frauen. Fürsorglich schiebt die eine die andere im Rollstuhl durch die Menge. Eine Gottesdienstteilnehmerin schenkt ihnen ein Brot, und die beiden begannen sofort, ihren Hunger damit zu stillen. „Gebt Ihr ihnen zu essen“, sagt der Herr (vgl. Mt 14,16). Und unter dem Glockengeläut aller Kirchen von Sibiu verabschiedeten sich die Teilnehmer der Versammlung in alle Länder Europas.

Hans-Georg Hunstig, Paderborn, Mitglied des ZdK
(Dieser Beitrag wurde uns vom Autor zur Verfügung gestellt und wird erscheinen in „Christ in der Gegenwart“.)